Beitrag vom 16. November 2017 (Interview in der Zeitschrift »Ethos«
1937 geboren in Deutschland, erlebten Sie noch den Zweiten Weltkrieg mit. Wie sah Ihre Kindheit aus?
Theodor Rehm: An das Marschieren zu Hitlers Geburtstag am 20. April und an die Tiefflieger erinnere ich mich sehr genau. Der Bunker war noch nicht fertig, wir drängelten uns in die Baustelle hinein, nur das Nötigste unter den Arm geklemmt. Jedes Mal stellten wir uns die bange Frage: Lassen die Flugzeuge Bomben auf uns fallen? Das Nachbarhaus meiner Grosseltern war getroffen worden und niedergebrannt. Am Morgen nach einer angstvollen Nacht wurden meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich mit dem Lastwagen unserer Firma zum Bahnhof gefahren, an rauchenden Trümmern vorbei. Von dort ging es zu unserer Oma nach Pfullingen (Grossraum Stuttgart). Wir hofften, dass es in dieser kleinen Stadt ruhiger und sicherer als zuhause in Fellbach sein würde.
Inwiefern hat Sie dieses Erleben geprägt?
In unserer Firma hatten wir während des Krieges Geschosskörbe herstellen müssen – die Angst war unser ständiger Begleiter. Als der Krieg zu Ende war, kamen die Soldaten mit traurigen Gesichtern in die Heimat zurück. Junge Leute von der Hitlerjugend wollten die Kapitulation nicht wahrhaben und versuchten, die anrückenden Siegermächte mit Panzersperren zu blockieren. Einige Eltern entfernten jedoch die Sperren und hängten weisse Leintücher als Zeichen der Kapitulation raus. Die Panzer rollten über die Bundesstrasse und Hausdurchsuchungen folgten. Zu der Zeit weilte mein Vater mit gebrochenem Oberschenkel im Krankenhaus. All das hinterliess Spuren und meine Mutter wurde seelisch krank. Meine ältere Schwester musste über viele Jahre für die ganze Familie sorgen. Dies alles hat natürlich auch mich geprägt, ich begann zu stottern.
Die Schrecken des Krieges liessen Sie zum Stotterer werden. Was für Auswirkungen hatte diese Sprachstörung auf Ihr Leben?
Als Stotterer steht man am Rande der Gesellschaft, spielt sozusagen die dritte Geige! Ich wurde zwar nicht gehänselt – da hatte eigentlich jeder sein Päckchen zu tragen nach dem Krieg –, dennoch zog ich mich zurück.
In der Schule kam ich problemlos mit und schrieb gute Noten. Eine liebe Lehrerin nahm sich meiner an, um mit mir das Sprechen zu üben, mit bescheidenem Erfolg.
In unserem Ort an der Lutherkirche hatten wir aber einen Pfarrer, der ein Stotterer war wie ich. Beim Predigen sprach er ganz langsam und deutlich, Wort um Wort, und dann stotterte er nicht. Dadurch ermutigt, versuchte ich es auch. Mit dieser Methode machte ich Fortschritte, ganz weg war das Stottern aber nicht.
Mit 14 Jahren begann ich eine Lehre als Schreiner im 200 Kilometer entfernten Friedrichshafen am Bodensee. Ich suchte am neuen Ort Anschluss und trotz des Stotterns wurde ich gut aufgenommen.
Heute merkt man kaum noch etwas davon. Wie konnten Sie das Stottern – und auch die seelischen Nöte – überwinden?
Mein ältester Bruder wurde Verwalter auf einem Obstgut und meinte, ich könnte für ihn Obst bestellungen annehmen und ausliefern. So ging ich in unserem Wohngebiet von Tür zu Tür, um nach Aufträgen zu fragen. Ich fand das Vertrauen der Leute und lieferte das Obst aus. Dabei lernte ich, mich zum Sprechen zu überwinden, bekam Übung und mehr Selbstbewusstsein.
Meine Eltern und auch mein Lehrmeister waren Christen. Aber als junger Mensch wollte ich aus dem starren Korsett des Glaubens – so empfand ich es – ausbrechen. Ich suchte »Freiheit« und Spass auf Festen. Doch dann trat mir eines Tages Gott in den Weg: Ein junger Familienvater lud mich in den Jungmännerkreis ein. Trotz Ausreden ging ich hin und lernte Gott dort immer besser kennen. Ich erlebte von andern Christen Annahme und verstand, dass ich von Gott geliebt und wertgeachtet bin – stottern hin oderher. Schliesslich übergab ich ihm mein Leben. Wir lebten unser Christsein sehr ernsthaft und erzählten andern Menschen voller Freude von Jesus. Auf einer Freizeit meinte ein Freund: »Theodor, deine Berufung ist die Mission!« Dannlernte ich meine Frau Irma kennen und 1962 heirateten wir. Mehr als 40 Jahre predige ich nun schon. Das ist eigentlich ein grosses Wunder.
Sie und Ihre Frau haben sich in der KEB Deutschland (Kinderevangelisationsbewegung Deutschland) engagiert. Als selbständiger Unternehmer hatten Sie wohl mehr als genug zu tun. Woher kam das Anliegen, sich ganz besonders der Kinder anzunehmen?
Schon in Pfullingen machte ich im CVJM Jugendarbeit und war auch in der Kinderkirche engagiert. 1960 zogen wir als Familie nach Neckartailfingen. Die Nähe zu Kindern brachten wir mit und die Jugendarbeit lag gewissermassen brach am neuen Wohnort.
Um uns für die Aufgaben vorzubereiten, luden wir jemanden von der KEB zu uns ein. Jemand sagte uns mal: »Das grösste Engagement muss den kleinsten Kindern gelten.«
So wuchs ich auch in die überregionale KEB-Arbeit hinein, gründete mit Walter Hahn die KEB Tübingen und war später viele Jahre lang zweiter Vorsitzender der KEB Deutschland.
Sie haben sechs Kinder, drei davon arbeiten im Betrieb mit, bzw. haben ihn nun übernommen. Was sind die Leitsätze der Firma in Bezug auf die Firmenführung? Wie gelingt ein gutes Miteinander?
Für mich ist die Treue das Wichtigste: im Himmel und auf Erden. Wer einer Sache treu bleibt und sich dafür einsetzt, der wird belohnt und gesegnet. Wichtig sind darüber hinaus: absolute Ehrlichkeit, Demut und Vorbild sein für andere.
Mission lag Ihnen immer schon am Herzen. Sie gründeten die Stiftung »Isaak«. Was ist deren Aufgabe und wie kam es zu dem geschichtsträchtigen Namen?
Im Jahre 2005 erwarben wir ein Objekt. Besitz ist eine Gabe Gottes und Hergeben von Liebgewordenem kann grosse Freiheit und Gnade Gottes bedeuten. Im Loslassen hat Gott dem Abraham seinen Sohn Isaak neu geschenkt. So wollten wir Gott zurückgeben, was er uns anvertraut hatte. Mit den Mieteinnahmen des Hauseswerden heute viele Missions-Projekteunterstützt. »Isaak« sollte für die Stiftung namensgebend sein. Die Verwaltung der Stiftung geschieht ehrenamtlich. Vor einem Jahr konnte ich die Leitung in jüngere Hände geben.
Sie sind nun 80 Jahre alt. Was war die wichtigste Lektion, die Sie das Leben gelehrt hat?
Ich bin eines von fünf Geschwistern. Mein Name »Theodor« heisst: »Gottes Gabe«. Meine Mutter nannte mich so, weil sie mich in schweren Zeiten bekam. Ich habe verstehen dürfen, dass ich tatsächlich eine Gabe Gottes bin und ihm vertrauen kann. Auf den Tischkarten zu meinem 80. Geburtstag stand folgender Vers aus 1. Chronik 4,10: »Segne mich und erweitere meine Begrenzungen und Gaben, stehe mir bei und halte Unglück und Schmerz von mir fern!« Dieses Gebet hat Gott erhört. Er hat mir viel geschenkt und ich durfte die Gaben meines Lebens zum Segen für andere einsetzen. So schliesst sich der Kreis.
Was ist Ihr Ziel, Ihr Wunsch, Ihre Botschaft für die Zukunft?
Dass die Botschaft von der Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit bei jedem persönlich, in jedem Haus und unter jedem Volk verbreitet und bekannt wird. »Wüssten’s doch die Leute, wie’s beim Heiland ist, sicher würde heute mancher gerne Christ!« – Dieser Vers aus einem alten christlichen Gedicht drückt mein Anliegen für Mission aus: in der Welt, in Deutschland, aber auch in der eigenen Familie. Damit wir uns alle vor dem Thron Gottes in der Ewigkeit einfinden!
Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin Gottes Segen!
Interview: Timo Roller, Daniela Wagner
Seit vielen Jahren unterstützen wir das Serrahner Diakoniewerk und das Gutshaus Ave in Penzlin (Mecklenburg-Vorpommern).
Den »Isaak loslassen«: Wie die Isaak-Stiftung entstand, erfahren Sie in einem ausführlichen Text oder im Video-Interview mit Theodor Rehm, dem Gründer der Isaak-Stiftung.